Wie die schwerreiche Joachim-Herz-Stiftung „unternehmerisches Denken“ ins Klassenzimmer bringt

Wenn der Rubel so richtig rollt mit dem Verkauf von „Nivea“-Creme, „Labello“-Lippenpflege und “tesa“-Film, dann freut das auch eine Hamburger Großstiftung. Und warum? Die Antwort ist simpel: Die genannten Artikel werden von Beiersdorf hergestellt. Und die Hamburger Joachim-Herz-Stiftung investierte laut eigenen Angaben einen großen Teil ihres Vermögens in dieses Unternehmen  – und macht folglich Kasse, wenn Beiersdorf üppige Dividenden zahlt. Die Stiftung besitzt laut eigenen Angaben 1,4 Milliarden Euro und zählt damit zu den reichsten Deutschlands. Der Stifter ist Joachim Herz, der im Jahr 2008 verstorbene Sohn des Tchibo-Gründers Max Herz. Und was treibt die Stiftung so?

Sie bietet unter anderem kostenlose Unterrichtsmaterialien für den Wirtschaftsunterricht. Ein Schwerpunkt ist die „Entrepreneurship Education“, das Vermitteln von „unternehmerischem Denken und Handeln“ in Schulen. Ziel dabei: Mehr Schulabgänger sollen den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Aber sollte der Unterricht in Gesellschaftslehre oder Wirtschaft/Politik nicht vor allem berücksichtigen, dass mehr als 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler später ihr Geld als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer verdienen?  Die Hamburger Großstiftung argumentiert: „Die ursprünglich unternehmerischen Kompetenzen sind heute überall gefragt: bei Arbeitnehmern ebenso wie z.B. im Ehrenamt oder bei der privaten Altersvorsorge.“Aha! Die Joachim-Herz-Stiftung propagiert also, dass auch der Erzieher in der Kita oder die Mechatronikerin in der Chemiefabrik flexibel sein soll, innovativ und risikobereit – den eigenen Erfolg immer im Blick. Dass Beschäftigte ihre Interessen womöglich besser durchsetzen, wenn sie sich einer Gewerkschaft anschließen und einen Betriebsrat erkämpfen, davon steht in den Materialien zu „Entrepreneurship Education“ so gut wie nichts.

Stiftung rechtfertigt sich

Die Joachim-Herz-Stiftung erklärt dazu auf Anfrage: Es sei selbstverständlich, dass wirtschaftliche Themen „von verschiedenen Seiten“ betrachtet werden müssten. Und warum „Entrepreneurship Education“? „Weil wir es als wichtig erachten, dass Schülerinnen und Schüler die unternehmerische Perspektive kennenlernen.“ Die Stiftung betont zudem, dass sie für den Schulunterricht auch „ein Modul zur Tarifautonomie“ anbiete. Weitere Module, etwa zur Betriebsrats-Arbeit, würden folgen. Das klingt nach Ausgewogenheit. Doch schaut man genauer hin, entsteht ein anderes Bild. So präsentiert die Joachim-Herz-Stiftung zwar für die Jahrgangsstufen 10 und darüber (Sekundarstufe II) das Modul „Tarifautonomie. Der Staat bleibt außen vor“; doch dafür veranschlagt sie lediglich „2 Unterrichtsstunden“. Für „Entrepreneurship Education“ (Sekundarstufe II) hat die Stiftung hingegen fünf Module im Angebot; dafür sollen mindestens 42 Unterrichtsstunden eingeplant werden. Außerdem bewirbt die Joachim-Herz-Stiftung 15 Videos, die „junge Entrepreneure“ vorstellen. Ein Simulationsspiel trägt den Titel „WIW AG. Wie können Schüler ihr unternehmerisches Talent erleben?“. Mit Hilfe der Stiftung entstand zudem für Lehrkräfte eine fachdidaktische Konzeption („Entrepreneurship Education in der ökonomischen Bildung“). Damit dürfte klar sein: Der milliardenschweren Joachim-Herz-Stiftung geht es beim Unterricht in Wirtschaft und Politik vor allem darum, die Unternehmer-Perspektive zu vermitteln.

Vielfältige Aktivitäten

Um ihre Vorstellungen durchzusetzen, macht die Stiftung kräftig Lobbyarbeit. So kooperiert sie mit dem Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) in Oldenburg. Sie fördert ferner die „Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung“ (DeGÖB), die eine Arbeitsgruppe „Entrepreneurship Education“ unterhält. Sie nutzt ihren eigenen Verlag, ein eigenes Bildungsmagazin und den hauseigenen YouTube-Kanal. Sie engagiert sich in der Lehrkräfte-Fortbildung. Und noch etwas: Viel spricht dafür, dass die Schlagkraft der Joachim-Herz-Stiftung zunehmen wird. Denn ihre Finanzkraft wächst rapide. 2015 gab die Stiftung 8,9 Millionen Euro für „gemeinnützige“ Zwecke aus. 2016 waren es 9,7 Millionen Euro. Und für 2017 hatte die Stiftung Ausgaben in Höhe von 16,7 Millionen Euro angekündigt. Eindrucksvolle Zahlen, ermöglicht auch – das dürfen wir getrost annehmen –  durch die Beiersdorf-Produkte „Nivea“, „Labello“ und „tesa“. (Foto: Zentrale der Joachim-Herz-Stiftung in Hamburg, Langenhorner Chaussee)