Blick nach Stuttgart: Die Vector-Stiftung – vor allem Finanzvehikel für ein Unternehmen?

Wieder eine Stiftung, die viel Gutes tut: Sie vergibt Stipendien, zahlt für Forschungsprojekte, unterstützt Schulen und hilft bedürftigen Jugendlichen. Acht Millionen Euro zahlte sie 2021 für gemeinnützige Zwecke, zwölf Millionen Euro waren es 2022. Die Öffentlichkeit dankt es ihr: Im Juli 2022 wurden die drei Stifter der Vector-Stiftung feierlich zu Ehrensenatoren der Uni Stuttgart ernannt. Kritische Medienberichte? Fehlanzeige. Wer allerdings recherchiert, Zahlen studiert und ein wenig Hintergrundwissen einfließen lässt, dem fallen auch in diesem Fall eine Reihe höchst diskussionswürdiger Dinge auf. Ist die Vector-Stiftung wirklich so gemeinnützig wie es den Anschein hat?

Nur die Heimatregion profitiert

Die Vector-Stiftung hat ihren Sitz in Stuttgart. Und erklärt auf ihrer Webseite, dass sie Hochschulen und Schulen in Baden-Württemberg fördert. Unterstützt werden zudem wohnungslose Menschen „aus der Region Stuttgart“. Damit kommen die Stiftungsgelder einem Bundesland zugute, das zu den wohlhabendsten in Deutschland gehört. Einem Bundesland, in dem außerdem – pro Einwohner gerechnet – weitaus mehr Stiftungen zuhause sind als in Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder im Saarland.

Vor allem Naturwissenschaft und Technik werden gefördert

Ein Großteil der Fördermittel fließt in naturwissenschaftliche Projekte der Hochschulen oder in den MINT-Unterricht an Schulen (MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Das wundert nicht – handelt es sich bei den Stiftern doch um drei Unternehmer, die ein Technik-Unternehmen gründeten und zum Erfolg führten: Die Vector Informatik GmbH, ebenfalls Sitz in Stuttgart, weltweit 3.500 Beschäftigte. Die GmbH produziert Soft- und Hardware für elektronische Elemente rund ums Auto. Ein Unternehmen, das auf technik-affinen Nachwuchs und technologische Innovationen angewiesen ist. Wie praktisch, dass die Vector-Stiftung, gegründet 2011, exakt auf diesen Feldern wirkt. Dazu passt, dass die drei Stifter bis 2014 als Geschäftsführer im Unternehmer tätig waren. Es wundert auch nicht, dass Stiftung und GmbH unter derselben Stuttgarter Adresse ihren Sitz haben: In der Ingersheimer Strasse 24.

Die Stiftung als Finanzvehikel des Unternehmens

Die Vector-Stiftung besitzt 60 Prozent der Anteile an der Vector Informatik GmbH. Ein Modell, das hierzulande sehr beliebt ist. Auch Bosch, Bertelsmann, der Gesundheitskonzern Fresenius, der Autozulieferer Mahle oder der Mischkonzern Possehl befinden sich mehrheitlich oder zu großen Teilen im Besitz einer gemeinnützigen Stiftung. Das sorge für stabile Eigentumsverhältnisse, verhindere Erbstreitigkeiten und feindliche Übernahmen. So die Rechtfertigung der Stiftungslobby. Und ganz falsch ist das nicht. Doch schauen wir uns in die Vector-Konstruktion genauer an: Das Unternehmen Vector ist hochprofitabel. Im Corona-Jahr 2020 lag der Gewinn nach Steuern bei 174 Millionen Euro, im Vorjahr waren es sogar bei 194 Millionen Euro. Ein Teil der Gewinne fließt üblicherweise an die Gesellschafter. Doch die Vector-Stiftung, mit 60 Prozent der Hauptgesellschafter, kassierte in 2020 als „Erträge aus Beteiligung“ lediglich zwölf Millionen Euro (Vorjahr: ebenfalls zwölf Millionen Euro). Das entspricht 7 Prozent des Gewinns (Vorjahr: 6 Prozent). Na, das ist aber ein bescheidener Gesellschafter, sollte man meinen. Richtig! Zum Vorteil eines privaten Unternehmens, das so in die Lage versetzt wird, einen enormen Kapitalstock anzuhäufen. Angenommen, die Stiftung würde 30 Prozent des Gewinns erhalten (es blieben immer noch 70 Prozent im Unternehmen): Dann hätte die Stiftung in 2020 insgesamt 52 Millionen Euro für gemeinnützige Arbeit ausgeben können. Mehr als viermal so viel. Damit käme auch zum Ausdruck, dass das Stiftungsvermögen dazu dienen soll, den Stiftungszweck, zum Wohle der Allgemeinheit, zu erfüllen. Und nicht die Interessen eines privaten Großunternehmens. Aber nix davon. Pustekuchen! Die Vector-Stiftung fungiert, so scheint es, als unternehmensnahes Finanzierungsvehikel der Vector Informatik GmbH.

Die Stiftung nimmt Stellung

Edith Wolf, Vorständin der Vector-Stiftung, erklärt auf Anfrage: Dass die Stiftung sich auf Baden-Württemberg konzentriere, habe praktische Gründe. „Hier kennen wir uns aus.“ Zudem gebe es auch hier „viel Armut“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. Die Wirtschaftswissenschaftlerin macht aber kein Hehl daraus, dass auch übergeordnete Überlegungen eine Rolle spielen: Die Stärkung der Region als „zukunftsfähiger Lebens- und Wirtschaftsstandort“ liege der Stiftung „sehr am Herzen“. Nein, die Vector Informatik GmbH profitiere nicht von den geförderten Projekten, beteuert sie. „Die Ausschreibungen für unsere Forschungsförderungen haben nichts mit dem Unternehmen zu tun.“ MINT-Unterricht unterstütze man, weil MINT-Berufe „Zukunftsberufe“ seien, wichtig auch zur Bewältigung von Klima- und Mobilitätswende. Edith Wolf schreibt allerdings auch, dass die Stiftung ins Unternehmen hinein wirkt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vector Informatik fänden es „toll“, dass Teile des Unternehmensgewinns für gemeinnützige Zwecke ausgegeben werden. „Insofern profitiert das Unternehmen von der Stiftung.“ Die Vorstandsfrau versichert zudem, die Stiftung sei kein Finanzvehikel. Doch verweist auch sie auf die finanziellen Vorteile, die das Unternehmen in Anspruch nehmen könne: „Das ist ja das tolle, wenn ein Unternehmen überwiegend einer gemeinnützigen Stiftung gehört, dass diese mit einer bescheidenen Dividende zufrieden ist“. Das Unternehmen könne so investieren, gute Arbeitsbedingungen schaffen und Krisen besser überstehen. Zusammenfassend räumt Edith Wolf jedoch ein: „Ich bin mir im Klaren, dass man auch anderer Meinung sein kann.“

Fazit

Man stelle sich vor, ein gemeinnütziger Verein würde vor allem dazu dienen, dass die Bäckerei oder der Malerbetrieb des Vereinschefs floriert. Undenkbar! Das Finanzamt stünde schnell auf dem Plan. Und würde dem Verein die Gemeinnützigkeit entziehen. Im Stiftungswesen jedoch sind derlei Praktiken Alltag. Und keine Zeitung, kein Online-Magazin, kein TV-Sender macht dies zum Thema. Oder habe ich da etwas übersehen? Dann freue ich mich über eine entsprechende Info. (Foto: Stadtansicht von Stuttgart, von Nicole Köhler auf Pixabay)